A. Grundlagen der BIM-Richtlinie

A.1 Ausgangssituation in der Immobilienwirtschaft

In der Immobilienwirtschaft sind Prozessoptimierungen durch den Technologieeinsatz ein vieldiskutiertes Thema. Im Bereich des Planen und Bauens steht Building Information Modeling (BIM) als Synonym für die Digitalisierung technischer Gebäudedaten. In der Praxis werden oft die visuellen Aspekte des Building Information Modelings betont. Ein BIM-fähiger Gebäudezwilling ist gleichzeitig eine Art Gebäudedatenbank, die über die digitale Visualisierung eines Gebäudes hinaus geometrische und semantische Gebäudeinformationen liefert. Sie können verknüpft betrachtet, geprüft und strukturiert ausgewertet werden. Das BIM-Modell kann als Datengrundlage in allen Phasen eines Immobilienlebenszyklus verwendet werden.

Abb. 1: Informationsquelle BIM-Modell (.bieker AG, 2023)

Die Erfassung von Gebäudedaten ist besonders im Umgang mit dem existierenden Gebäudebestand eine große Herausforderung. Bei älteren Gebäuden sind Daten zur Geometrie, Materialität und Ausstattung häufig unvollständig und unstrukturiert. In der Betriebsphase sowie den Bestandsentwicklungs- und Transaktionsprozessen entstehen dadurch wiederholt ein hoher Datenaufbereitungs- und Kommunikationsaufwand. Eine Vielzahl an Ortsterminen wird notwendig, um fehlende Gebäudeinformationen einzuholen. Für Eigentümer und Investoren entstehen dadurch Unsicherheiten und wiederkehrende, aber vermeidbare Kosten. Gegenüber einer reinen Datenbank liefert die Gebäudemodellierung eine höhere Nachvollziehbarkeit, vor allem bei der geometrischen Auswertung. Mit BIM kann die Vision einer schnelleren und zielgerichteten Planbarkeit, Handlungsfähigkeit, Kommunikation und Berichterstattung in den unterschiedlichsten Prozessen der gesamten Immobilienwirtschaft verwirklicht werden. Digital, strukturiert auswertbare Informationen zum Gebäudebestand werden dadurch in Zukunft einen hohen Stellenwert erfahren. Die technischen Vorteile der BIM-Modellierung im Gebäudebestand sind allerdings nur realisierbar, wenn branchenweite Standards entwickelt und von den Marktteilnehmern eingesetzt werden. In den vergangenen Jahren wurde durch verschiedene Organisationen bereits eine Vielzahl an technischen Dokumenten für den einheitlichen BIM Modellaustausch erstellt. Die Recherchen und Praxiserfahrungen haben gezeigt, dass viele dieser Standards und Richtlinien einen Bezug zu öffentlichen Bauvorhaben aufweisen. Sie sind vorrangig auf BIM-Dienstleister und weniger auf die Eigentümer bzw. Entscheidungsträger der Immobilienwirtschaft ausgerichtet. Abgesehen davon sind die vorhandenen Richtlinien bislang auf den reinen Austausch von technischen Gebäudedaten ausgerichtet. Eine Eingliederung auf übergeordneter Ebene mit Bezug zu den immobilienwirtschaftlichen Datenstandards, wie z. B. der gif-Richtlinie zum Immobilien-Daten-Austausch (gif-IDA) wurde bislang nicht berücksichtigt.

A.2 Zielsetzung

Das Ziel dieser Richtlinie ist es, den verschiedenen Teilnehmern der Immobilienwirtschaft die BIM-Methodik, speziell im Umgang mit dem vorhandenen Gebäudebestand näher zu bringen und auf zukünftig anstehende Vertragsvereinbarungen und Anwendungen vorzubereiten. Mit Hilfe der textlichen Beschreibungen sollen den Entscheidungsträgern der Immobilienwirtschaft gleichzeitig ihre Führungsrolle im Kontext der Digitalisierung bewusstgemacht und die entsprechenden Grundlagen vermittelt werden. Im Fokus dieser Richtlinie steht anschließend die Definition der Gebäudeinformationsanforderungen. Sie ergeben sich aus unterschiedlichen Anwendungsfällen (AWF), die sich in dieser Richtlinie, abgrenzend zu anderen Werken, wie z.B. den AWF der Bergischen Universität Wuppertal [1] oder des Karlsruher Instituts für Technologie [2], auf einzelne wichtige Prozesse im Umgang mit dem Gebäudebestand beziehen. Zur Definition der Gebäudeinformationsanforderungen werden vorab Gebäude und Bauteilmerkmale definiert. Das Ziel ist die Erweiterung des vorhandenen gif-Datenstandards im Bereich technischer Gebäudedaten. Der Aufbau und die Struktur dieser Merkmale berücksichtigen die technischen Möglichkeiten und die Logik einer BIM Modellierung. Neben ersten Anwendungsfällen können zukünftig weitere Anwendungsfälle im Austausch mit der immobilienwirtschaftlichen Praxis definiert werden. Die strukturierte Erfassung von Gebäudedaten auf Basis des vorliegenden gif-Datenstandards Building Information Modellings (BIM) hilft langfristig dabei, einzelne Teilprozesse aus der Betriebs- und Bestandsentwicklungsphase zu beschleunigen oder gar zu automatisieren. Kurzfristig wird die einheitliche Anwendung dieser Richtlinie den Datenbeschaffungsaufwand bei allen Beteiligten strukturieren und gesamtheitlich senken. Im Immobilienmanagement können dadurch wertvolle Zeit und möglicherweise auch (Opportunitäts-)Kosten eingespart werden. Darüber hinaus steigt die Zufriedenheit aller beteiligten Akteure, weil wiederkehrende Tätigkeiten, wie das Suchen von Gebäudeinformationen, im Alltag minimiert werden. Für Entscheidungsträger der Immobilienwirtschaft (u.a. Investoren, Bestandseigentümer, Projektentwickler) dient diese gif-Richtlinie als Hilfestellung bei der Beauftragung von Leistungsbildern der HOAI unter Berücksichtigung der BIM-Methodik, sog. BIM-Leistungen. Für BIM-Anwender dient sie als eindeutige Grundlage, welche Informationen einem BIMModell aus immobilienwirtschaftlicher Sicht hinzugefügt werden müssen. Für alle Nicht-BIM-Anwender soll zunächst eine Übersicht vorhandener BIM-Begriffe geschaffen werden. Gegenüber anderen Richtlinien sollen keine neuen Begrifflichkeiten eingeführt werden. Vielmehr wurden das fachliche Knowhow und die Erfahrungen der gif-Projektgruppenmitglieder genutzt, um die relevanten BIM- Richtlinien, Normen und sonstigen Veröffentlichungen zu sondieren und praxistauglich zusammenzufassen. Hierbei unterstützt auch das Glossar am Ende der Richtlinie. Zusammenfassend verfolgt diese Richtlinie folgende Ziele und erfüllt verschiedene Funktionen:

  • Erläuterung von BIM-Begrifflichkeiten (Rollen, Leistungen etc.) zur Entwicklung eines markttauglichen Verständnisses (Abschnitt B.1 und E.5)
  • Auflistung von BIM-Verbänden, -Initiativen, -Richtlinien und -Normen als übergeordnetes Nachschlagewerk (Abschnitt B.2)
  • Vermittlung der rechtlich regelungsbedürftigen Aspekte, um BIM-Leistungen nach einheitlichen Standards zu beauftragen (Abschnitt C.2)
  • Bereitstellung von BIM-Steckbriefvorlagen, um die Definition einer anwendungsspezifischen BIM-Modellierung beim Umgang mit dem Gebäudebestand zu erleichtern und Gebäudeinformationen systematisch zwischen Projektbeteiligten auszutauschen (Abschnitt E.1)
  • Bereitstellung von Merkmallisten, um im Einklang mit dem gif-IDA eine gesamtheitlich widerspruchsfreie Datengrundlage zu entwickeln (Abschnitt E.2) und Darlegung von (wesentlichen) zu beachtenden rechtlichen Rahmenbedingungen für BIM (Abschnitt C.2).

Diese Richtlinie ist keine Modellierungsrichtlinie, in der technische Hinweise zur softwarespezifischen Umsetzung gegeben werden. Es werden keine Definitionen vorgenommen, wie (visuell) detailliert ein Gebäude modelliert werden sollte. Die geometrische Genauigkeit einer Modellierung (Level of Geometry) ist abhängig von der
konkreten Aufgabenstellung. Für die Richtigkeit der Ausprägung einzelner Merkmale sind weiterhin die BIM-Autoren verantwortlich. In dieser Richtlinie wird vielmehr definiert,
welche Informationen an welcher Stelle im Gebäudemodell verortet werden sollen (Abschnitt C.5).

Mehrere Praxisteilnehmer der BIM-Projektgruppe berichten, dass beim BIMDatenaustausch die Schnittstelle zwischen unterschiedlichen Softwareprogrammen eine wiederkehrende Herausforderung darstellt. Die BIM-Softwarehersteller nutzen IFCÜbersetzer, um Daten aus anderen Softwareprogrammen aus- und verlustfrei einlesen zu
können. Die technische Schnittstellenproblematik zwischen den einzelnen Produktherstellern wird durch die Richtlinie nicht gelöst werden können.

A.3 Entstehung der gif-Richtlinie im Kontext der gif KG Datenmanagement

Die gif hat bereits im Jahr 2013 die Kompetenzgruppe Datenmanagement ins Leben gerufen, um die Digitalisierung in der Immobilienbranche zu fördern. Mit mehr als 60
Mitgliedern aus Forschung und Praxis und in Zusammenarbeit mit den nationalen und internationalen Partnerverbänden der gif wurden seit Bestehen der Kompetenzgruppe
Datenstandards entwickelt und fortgeschrieben. Wesentliche Veröffentlichungen sind die gif-Richtlinie zum Immobilien-Daten-Austausch („gif-IDA“) [3] und des zugrundeliegenden Datenmodells (www.zgif.org) [4] sowie die gif-Richtlinie Standard zum Aufbau eines Immobiliendatenraums und Dokumentenmanagement Systems [5]. Im Jahr 2022 wurde darüber hinaus ein Arbeitspapier zum Thema Data Intelligence veröffentlicht. Den Themen zugeordnet, organisiert sich die Kompetenzgruppe in einzelne Projektgruppen. Die Projektgruppe Building Information Modeling nahm im Jahr 2020 ihre Arbeit auf.

Abb. 2: gif Kompetenzgruppe Datenmanagement und ihre Veröffentlichungen (eigene Abbildung)

Grundlage für die Ausarbeitung der vorliegenden Richtlinie waren Gruppensitzungen mit Teilnehmern und Teilnehmerinnen aus der gesamten Immobilienwirtschaft. Die Mitglieder der gif-Projektgruppe BIM und teilnehmende Gäste stammen aus den verschiedenen Managementbereichen (Asset-, Property-, Facility-, Projektmanagement), der Produkt und Softwareherstellung, der immobilienwirtschaftlichen Forschung, der fachbezogenen Beratung, aus weiteren Verbänden und Vereinen sowie der BIM-Anwendung (Architektur und Ingenieurbüros). Bei den Gruppendiskussionen wurden zunächst die einzelnen Standpunkte und Erfahrungen ausgetauscht. In regelmäßigen Abständen gab es von Gastteilnehmern einen praxisnahen Input. Der Austausch und der Input sind die Grundlage für die erarbeitete Zielsetzung, Aufbau und Formatierung sowie für die literarischen Angaben.

Im zweiten Teil der Projektgruppenarbeit ging es um die inhaltliche Erarbeitung der Richtlinie. Die einzelnen Begriffsdefinitionen, BIM-Steckbriefe und Merkmallisten sind das Resultat einer weitläufigen Literaturrecherche, der Zusammenfassung wissenschaftlicher Arbeiten und dem Feedback anderer Verbandsvertreter. Die Auswahl der Bauteilmerkmale basiert im Wesentlichen auf der Praxiserfahrung einzelner Projektgruppenmitglieder. Die vorliegende Version 1.0 der gif-Richtlinie Building Information Modelling enthält darauf aufbauend nur einzelne Anwendungsfälle, abgeleitet aus den Kernprozessen des Gebäudebetriebs und der Bestandsentwicklung. Die Anwendungsbeispiele werden in Kapitel C.6 vorgestellt. Mit der Veröffentlichung dieser Richtlinie werden die Vorlagen einem breiten Fachpublikum zur Einsicht und Kommentierung zur Verfügung gestellt.

Sämtliches Feedback wird anschließend gesichtet, bewertet und in die nächste Richtlinienversion eingearbeitet.